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Diplom-Biophysiker Jens Krüsmann zur Gesamtlärmbetrachtung

(c) privat
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„Es ist immer mit Reibung verbunden.“

Jens Krüsmann arbeitet im brandenburgischen Agrar- und Umweltministerium im Referat Anlagenbezogener Immissionsschutz, Anlagensicherheit, Störfallvorsorge, Luftreinhaltung und Lärmminderung, umweltbezogene Fragen des Verkehrs. Zu seinen Aufgaben gehört die Erarbeitung einer Gesamtlärmbetrachtung im Umfeld des Flughafens BER.

Was steckt hinter der Gesamtlärmbetrachtung?

Erstmals wird von uns die gesamte verkehrsbezogene Lärmsituation im Flughafenumfeld erfasst. Formal gesehen ist dies übrigens eine freiwillige Aufgabe. Das heißt, es gibt keine gesetzliche Verpflichtung dazu. Die Gesamtlärmkartierung ist ein Angebot, das wir als Land auf freiwilliger Basis im Rahmen der Lärmaktionsplanung machen, um den Anwohnern der Gemeinden im Flughagenumfeld zusätzliche Informationen an die Hand zu geben. Schaut man auf die Karte rund um den BER, dann sieht man, dass in manchen Wohnlagen der Bahn- und Straßenverkehr die Lärmbelastung zusätzlich erhöht oder sogar höher sein kann als durch die Flugbewegungen, die zudem wetterbedingt wechseln.

Was bedeutet „Gesamtlärm“?

Bislang wurden die Lärmquellen separat betrachtet. Es gibt separate Anforderungen an Lärmschutzmaßgaben und Lärmvorsorgemaßnahmen, je nach Lärmquelle. Dies kann Straßen-, Schienen-, Fluglärm, Anlagenlärm oder auch verhaltensbezogener Lärm sein. Diese separate Betrachtungsweise hat natürlich Nachteile, weil man nie genau beurteilen kann, wie diese Lärmquellen zusammenwirken.

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Wir wären nicht in Deutschland, wenn es dazu keine Norm gäbe?

Richtig. Fachgremien und Fachleute haben sich bereits mit der Normung dieses Problems befasst und mit der VDI-Richtlinie 3722 einen Lösungsvorschlag entwickelt. Zunächst werden dabei für jede Quellenart straßenverkehrsbezogene Ersatzpegel berechnet, die derselben Wirkung entsprechen. Das heißt, wir schaffen uns einen Gesamtwert, der alle Lärmarten an einem definierten Standort in einer Summe zusammenfasst. Mit dieser Größe ist es dann auch möglich, eine Gesamtlärmaussage für diesen Standort zu treffen, letztlich mit dem Ziel, die Wirkung auf den Menschen zu beurteilen. Die Werte werden wir im Rahmen der Lärmaktionsplanung im Umfeld des BER ermitteln und öffentlich – vor allem den betroffenen Kommunen – zur Verfügung stellen.

Im Grunde ist eine Gesamtlärmbetrachtung naheliegend. Warum wird dies nicht schon längst gemacht? Warum gibt es keine gesetzlichen Vorgaben?

Es hängen eine ganze Reihe von Fragen daran. Zum Beispiel, wer ist eigentlich zuständig beziehungsweise dazu verpflichtet, Lärmschutzmaßnahmen umzusetzen und zu finanzieren, wenn bei einer Gesamtlärmbetrachtung Grenzwerte überschritten werden? Was wäre die Antwort an Standorten, an denen sich der Verkehrslärm von Bahnstrecken, Landesstraßen und Bundesstraßen gewissermaßen addiert? Ist es die Bahn, das Land, der Bund oder die Kommune? Zu welchen Teilen werden die Lasten geteilt? Das ist alles noch offen, auch weil damit die Frage verbunden ist, wie viel Geld wir auf der Grundlage solcher Berechnungen genau brauchen werden. Und natürlich geht es auch darum, wer das bezahlen soll, also aus welchem Haushaltstitel die Finanzierung bereitgestellt wird.

Immerhin gibt es bereits Lösungsvorschläge, die unter Federführung des Umweltbundesamts wissenschaftlich erarbeitet wurden. Alle, die sich mit dem Thema fachlich befassen, wissen, dass hier Handlungsbedarf besteht - schon aus Gesundheitsgründen und aus der naturwissenschaftlichen Erkenntnis heraus, dass sich Lärm durch geeignete Maßnahmen mindern lässt.

Es gibt also einen anderen Grenzwert für Flugzeuglärm als für Eisenbahnlärm. Aber für mich als Anwohner ist laut einfach nur laut, unabhängig, wer für den Lärm verantwortlich ist?

Es gibt spezifische Grenzwerte für die einzelnen Lärmquellen. Das ist naturwissenschaftlich begründbar. Es gibt ein unterschiedliches Lärmempfinden, zumindest im Bereich der Belästigung. Im Gesetzgebungsverfahren spielen aber nicht nur die gesundheitsrelevanten Größen eine Rolle. Es ist auch abzuwägen, wie hoch die gesellschaftlichen Lasten beziehungsweise die möglicherweise vorhandene gesellschaftliche Akzeptanz sind. Letzteres zielt für mich darauf, dass es hier nicht nur darum gehen kann, in einem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren – quasi nur unter Fachleuten – Lärmgrenzwerte festzulegen. Lärmschutzgrenzwerte sind ja nicht allein Werte, die sich aus der naturwissenschaftlichen Forschung zum Gesundheitsschutz und aus der Lärmvermeidung ergeben. Oft sind sie das Ergebnis breiter, öffentlicher Aushandelungsprozesse. Immer wieder liest man ja von Streitigkeiten um Spielplätze oder den berühmten krähenden Hahn im Dorf. Wir wissen alle, dass Verkehrslärm ganz andere Betroffenheiten mit sich bringt und den einen oder die andere dazu bringt, fortzuziehen. Wenn wir also jetzt in Bund und in den Ländern über Gesamtlärm-Grenzwerte verhandeln, müssen aus meiner Sicht Menschen einbezogen werden, die an von Verkehrslärm stark betroffenen Standorten leben. Sie sollten die Möglichkeit haben, sich mit ihren konkreten, subjektiven Wahrnehmungen einzubringen.

Wenn wir jetzt die Gesamtlärmbetrachtung haben, was passiert dann damit? Was passiert mit den Erkenntnissen? Was werden voraussichtliche Konsequenzen sein?

Bereits 2022 wurde die aktuelle Lärmkartierung durch das Landesamt für Umwelt abgeschlossen. Das Umweltministerium ist verantwortlich dafür, die entsprechenden Daten und Zahlen und Statistiken der EU-Kommission zu berichten – auch in Bezug auf die Lärmaktionsplanung, die auf den Ergebnissen der Lärmkartierung basiert. In der Konsequenz geht es natürlich darum, den Flughafenumland-Gemeinden nun auch eine fachlich besser untersetze Entscheidungshilfe zur Verfügung zu stellen, die sie in der eigenen kommunalen Planung nutzen können, wenn es beispielsweise darum geht, Flächen zu entwickeln, zu schützen oder auf bestimmte Weise zu nutzen.

Wie unterstützt das Ministerium die Mitglieder des Dialogforums bei diesem Thema?

Als Ministerium sehen wir uns verpflichtet, die Kommunen am Flughafen BER dabei zu unterstützen, Lärmaktionspläne aufzustellen, weil sie das allein von der Fläche und der Komplexizität der Aufgabe her gar nicht allein schaffen können. Aus den betroffenen Kommunen ist ja die Bitte und das Bedürfnis an uns herangetragen worden, nicht nur den Fluglärm, sondern auch die anderen Lärmquellen zusammen zu betrachten.

Mit der U7 zum BER

Was bedeutet dies konkret für die Kommunen?

Zum einen geht es darum, die Standorte besser einzugrenzen, an denen Handlungsbedarf in Sachen Verkehrslärm besteht und entsprechend zu reagieren. Eine Reaktion könnte hier durchaus sein, nochmals beim Thema der bereits viel diskutierten Betriebsregelungen – gerade in der Nacht – nachzujustieren, um eine mit der Inbetriebnahme des BER nun messbare Gesamtlärmsituation zu mindern. Das war auch in der Vergangenheit schon unser Ansatz. Wir hatten bereits im Rahmen einer Arbeitsgruppe der Staatskanzlei eine Betrachtung betrieblicher Lärmminderungen im Nachtzeitraum durchgeführt und die Ergebnisse auch in die dritten Runde der Lärmaktionsplanung 2018 einfließen lassen. Mit einer Gesamtlärmbetrachtung kann man besser sehen, ob eine bestimmte Fluglärmminderung auch dann noch wirksam ist und etwas bringt, wenn man auch den Eisenbahn- und Straßenlärm miteinbezieht. Das haben wir dann auch so gemacht. Die nächtlichen Lärmentlastungsmöglichkeiten, die gefunden wurden, waren auch unter Gesamtlärmbetrachtungen noch immer eine Verbesserung für die Betroffenen.

 

In die Zukunft gerichtet, lassen sich bei Planungsvorhaben in den Kommunen aus unseren Kartierungen Flächen identifizieren, die sich dann besser für Wohnen, Lernen oder Erholung eignen als andere. Man kann sehen, wo es möglicherweise schwierig oder nicht angezeigt ist, solche Nutzungen vorzusehen.

Was ist für Sie persönlich die größte Herausforderung bei einer solchen Kartierung?

In Bezug auf den Flughafen BER sind wir immer noch in der Phase nach der Inbetriebnahme. Es lässt sich noch nicht absehen, wie sich die zukünftige, tatsächliche Auslastung oder die Entwicklung zu einem internationalen Drehkreuz darstellt. Kommt die prognostizierte Auslastung dem nahe, was man sich versprochen hat? Wir und die betroffenen Gemeinden wollen eine verlässliche Prognose betrachten. Eine Gesamtlärm-Kartierung macht nur Sinn, wenn man damit planen kann. Planung kann aber nur gelingen, wenn man einen ausreichenden Prognosehorizont betrachtet. Da liegt im Moment die Schwierigkeit: Wo geht die Entwicklung hin? Wo ist sie in sieben Jahren? Was wird da sein, was kann man sicher oder zumindest mit ausreichender Sicherheit prognostizieren und dann in der Gesamtlärm-Kartierung auch verwenden?

 

Beim Straßenverkehr haben wir eine deutschlandweite Verkehrsprognose 2030. Bei der Bahn existieren entsprechende Prognosefahrpläne, die man verwenden kann, aber beim Flughafen und beim Fluglärm sind wir noch unsicher. Da kann man in diesem Jahr und vermutlich auch im nächsten Jahr nur Annahmen treffen, aber es wird möglicherweise nicht das sein, was 2030 oder 2033 eintreten wird. Das ist im Moment die Schwierigkeit.

Bei der Erstellung einer solchen Studie geht es ja vor allem darum, etwas für die Menschen zu tun. Am Ende sind es aber dann doch Stakeholder und Interessen, die die Umstände bestimmen. Sie sprachen da von einem gesellschaftlichen Aushandelungsprozess. Ist das nicht frustrierend für Sie?

Nein, in der Praxis sind solche Aushandelungsprozesse immer mit Reibung verbunden. Ich bin hierbei gewissermaßen der Anwalt der Lärmbetroffenen. In den vergangenen Jahren ist beim Verkehrslärm einiges erreicht worden, allein was die Sensibilisierung für dieses Thema betrifft. Ich bin mir auch sicher, dass für das Umfeld des Flughafens BER im Rahmen eines breiten Dialogprozesses weitere gute Lösungen für die vom Lärm betroffenen Menschen gefunden werden können. Hierzu wollen wir im Rahmen der Lärmaktionsplanung einen Beitrag leisten.

Es ist gewissermaßen wie bei einem Architekten, der möglichst lärmarm gestalten und möglichst viel für die vom Lärm betroffenen Menschen bauen möchte. Dabei ist der Lärmschutz aber immer nur ein Teilaspekt des Ganzen.  

Was werden die nächsten Schritte sein, wie geht es mit Lärmschutz und Gesamtlärm-Kartierung weiter?

Wir unterstützen die Kommunen im Flughafenumfeld im Rahmen der Lärmaktionsplanung, die zum 18. Juli 2024 in der vierten Runde abgeschlossen werden muss. Wir haben auch schon ein Vergabeverfahren gestartet, um einen Gutachter zu gewinnen, der diese Arbeiten übernimmt. Als Ministerium werden wir dieses Gutachten finanzieren. Das Vergabeverfahren ist in der Endphase. Der Gutachter wird eine prognostische fluglärmbezogene Lärmkartierung vorlegen und eine gemeindescharfe Analyse der Daten zur Verfügung stellen. Diese werden in die Gesamtlärmkartierung mit einfließen.

 

Wir haben im Moment nur die Ist-Situation im Flughafenumfeld kartiert. Das muss in Bezug auf einen Prognosehorizont und gemeindescharf nochmal nachgearbeitet werden. Auf dieser Datengrundlage kann dann - wie erwähnt - untersucht werden, wie welche konkreten Flugverfahren oder Verfahrensoptimierungen wirken könnten.

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Was macht eigentlich die Flughafengesellschaft? Und das Land Berlin? Wer ist noch alles bei der Betrachtung beteiligt?

Natürlich beziehen wir neben den Umlandgemeinden bei allen Lärmuntersuchungen die Flughafengesellschaft ein. Sie unterstützt uns mit ihrer Expertise. Unter Berücksichtigung des mit dem Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung der Gemeinsamen Landesplanung betrachteten Gebiets ist die Berliner Senatsverwaltung mit einbezogen, die insbesondere die Interessen der Bezirke im Süden der Hauptstadt vertritt.  

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